Johann Rudolph Fischer, Bodenstanduhr, ehemals mit Harfenwerk, 1763/1764, Inv. Nr. V 19
Beschreibung
Als ersten Aufstellungsort für die Uhr bestimmte König Friedrich II. von Preußen das nordöstliche Kabinett im 1754 bis 1757 erbauten Chinesischen Haus im Park Sanssouci. Dessen Inneneinrichtung war erst nach 1763, also nach Beendigung des Siebenjährigen Krieges, in Angriff genommen worden. Zeitgleich (ab 1763) entstand das Neue Palais in Sanssouci, für dessen Ausstattung Johann Melchior Kambly eine Uhr des gleichen Typs, ebenfalls mit Harfenwerk von Johann Rudolph Fischer (vgl. SPSG, Inv. Nr. V 97), anfertigte. Warum Friedrich II. zwei fast identische Uhren bestellte, ist nicht bekannt. Während sich die Harfenuhr im Neuen Palais harmonisch in das Interieur des Tressenzimmers fügt, muss das Exemplar für das Chinesische Haus wie ein Fremdkörper gewirkt haben. Möglicherweise war ursprünglich ein anderer Aufstellungsort beabsichtigt. Der altmodische Gehäuse-Aufbau nach niederländischen und englischen Vorbildern vom Anfang des 18. Jahrhunderts wirkte als starker Kontrast zu der beschwingten Architektur des exotischen Pavillons und seiner Ausstattung. Die Standuhr mit querrechteckigem Grundriss gliedert sich in Sockel, Pendelkasten und Kopf. Der Sockel wird durch diagonal gestellte Ecken betont; auf den vorderen beiden befinden sich kürbisartige Früchte auf Akanthusblättern (Rekonstruktion). An der vorderen Tür befindet sich eine runde, verglaste Öffnung, durch die die Pendellinse sichtbar ist, an den Seiten auf gleicher Höhe jeweils ein ebenso rundes, durch vergoldete Gelbgussleisten gerahmtes Feld. Die gesamte Uhr ist mit reicher, feuervergoldeter Gelbgussdekoration verziert: Leisten und Rocaillen rahmen Felder, die mit Gitterwerk, Blumenranken und Einzelblüten (besonders am Kopf), Akanthusblättern und Muschelwerk gefüllt sind. Ungewöhnlich ist die auf dem Kopf stehende Signatur des in Potsdam für Kambly arbeitenden, aus Paris stammenden Vergolders Nicolas Morel auf der vergoldeten Leiste zwischen Sockel und Pendelkasten. Die fast quadratische, oben mit einem Segmentbogen abgeschlossene und verglaste Tür vor dem Zifferblatt besitzt einen fein gravierten Rahmen aus vergoldetem Gelbguss, der durch Blütenzweige an den Ecken und im Scheitel des Bogens dekoriert ist. In der Zone darüber, unter dem aufgebrochenen Giebel, befindet sich ein Muschelmotiv mit seitlichen Rocaillen. Ein flacher, balustradenförmiger Aufsatz, der von einer Tazza („Körbchen“) mit reichem Blumenschmuck bekrönt wird, bildet den oberen Abschluss. Ein kniender und ein sitzender Putto (letzterer ein Nachguss) rechts und links des gesprengten Giebels reichten sich vermutlich eine heute verlorene Blumengirlande. In den 1860er Jahren gelangte die Uhr im Auftrag von Kronprinz Friedrich Wilhelm und Kronprinzessin Victoria, die ein besonderes Faible für Friedrichs Prunkuhren besaßen, in den Saal der Braunschweigischen Kammern im Berliner Schloss. Wohl aus diesem Anlass wurde das Werk 1864 von dem Potsdamer Uhrmacher Emil Keil (1846-1872), dem Gehilfen des dortigen Königlichen Hofuhrmachers Julius Theodor Brinckmann, restauriert. Schon bald veränderte sich ihr Äußeres grundlegend durch die Anbringung mehrerer, nicht originaler Dekorationselemente: Zwei dreiarmige Leuchter zwischen Pendelkasten und Kopf, ein dritter sitzender Putto zwischen dem gesprengten Giebel, eine Löwenmaske vor dem Pendellinsen-Fenster sowie zahlreiche vergoldete Gelbguss-Ornamente kamen hinzu. Die meisten anderen Zierrate, die sich auch an der Uhr SPSG, Inv. Nr. V 97 finden, sind völlig neu und das Gesamtbild entstellend arrangiert worden: Die beiden ursprünglich auf den gesprengten Giebelhälften lagernden Putten „kletterten“ vertikal rechts und links am Pendelkasten empor, mit ihren Füßen stützten sie sich auf kräftige Akanthusvoluten, die auch an den quergestellten Sockel-Ecken eine Fortführung fanden. Die kürbisartigen Früchte krönten nun die oberen Ecken rechts und links des gesprengten Giebels. Das große Mittelfeld an der Frontseite des Sockels war mit zusätzlichen kleinen Rocaillen und Blumen ausgefüllt. Im Inventar des Berliner Schlossmuseums ist der um 1921 vorgenommene Rückbau verzeichnet: „Gehäuse aus Schildpatt mit vergoldeten Bronzeverzierungen, mehreren Bronzegittern, die teilweise keine Schildpattunterlagen haben, am Aufbau mit 2 Engeln aus vergoldetem Zink u. einer Blumenvase verziert. An den Seiten befanden sich früher Wandarme mit 3 Lichthaltern. Das aus Porzellan u. Bronze gebildete Zifferblatt ist Fischer à Potsdam, die Goldbronze Morel Doreur bezeichnet. Potsdam, um 1760, Gehäuse v. M. Kambly.“ (Die Angaben, das Zifferblatt sei aus Porzellan und die Putten aus Zink, sind hier falsch.) Die meisten der im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts angebrachten zusätzlichen Dekorationen hatte man also zu dieser Zeit wieder entfernt. Sie waren bereits von Paul Seidel 1895 als störend, ja die gesamte Uhr damit als „vollständig verpfuscht“ empfunden worden. Die beiden Putti kamen wieder an ihren alten Platz auf den Giebel, der dritte, nicht zugehörige Putto, die Leuchter, die Löwenfratze und zahlreiche andere füllende Ornamente verschwanden. Hinter dem Giebel ergänzte man dafür den auch bei SPSG, Inv. Nr. V 97 vorhandenen Balustradenaufsatz. Das Ergebnis, wie es sich auf einem historischen Foto des Schreibzimmers der Mecklenburgischen Kammern, wo die Uhr nach 1918 ausgestellt war, bietet, ist ernüchternd: Viele Ornamente, wie die kürbisartigen Früchte, die Akanthusblätter am Sockel und die Girlanden oberhalb der Früchte, sind verloren. In diesem reduzierten Zustand befand sich die Uhr bis 2011 (zuletzt im Depot), wobei in den 1950er Jahren versucht wurde, die vermutlich durch die Kriegsauslagerung noch weiter dezimierte Dekoration durch freie Ergänzungen (große hölzern-vergoldete Voluten an den vorderen Ecken, von Wandbranchen stammende Zierbeschläge) auf einen historisch nicht definierbaren Zustand „zurückzuführen“. Bei der 2011 erfolgten Restaurierung des Uhrgehäuses orientierte man sich an der Schwesteruhr SPSG, Inv. Nr. V 97: Einige verlorene Dekorationen wurden durch Nachgüsse gleicher Motive wiederhergestellt. Applikationen, für die es kein Muster mehr gab, wie die Girlanden oberhalb der großen kürbisartigen Früchte, wurden nicht rekonstruiert. Analog ist mit der Restaurierung des Uhrwerks verfahren worden. 2012 konnte die Uhr nach jahrelanger Deponierung und erfolgter Restaurierung (Gehäuse: Kurt Kallensee & Sohn, Werk: Ian D. Fowler) auf der Ausstellung „Friederisiko“ im Neuen Palais wieder präsentiert werden. (Silke Kiesant)
Uhr | |
Höhe: 325.00 cm Breite: 102.00 cm Tiefe: 65.00 cm | |
Konstruktionsholz: Kiefer (Korpus); Wacholder (Innenfurnier); Schildpatt, furniert; Gelbguss, feuervergoldet; Glas; Werk: Messing, z. T. vergoldet und versilbert; Stahl, z. T. gebläut (Zeiger) | |
auf dem Zifferblatt: „Fischer a Potsdam“; Rückseite Zifferblattplatte: „Emil Keil Potsdam 19/ 7 [18]64“ und „O. Caesar (…) Uhrmacher Berlin (…) am 27/ 2 [18]82“; auf der vergoldeten Zierleiste zwischen Sockel und Pendelkasten: „Morel Doreur“ | |
V 19 | |
2024-12-18 15:07:17 | |
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Dieses Objekt im Museum
Die Hohenzollern ließen ab dem 17. Jahrhundert neben ihrer Hauptresidenz in Berlin verschiedene Schloss- und Gartenanlagen in der Havellandschaft bei Potsdam errichten. Der Gartengestalter Peter Joseph Lenné fasste im 19. Jahrhundert mehrere dieser Schloss- und Gartenensembles zu einer Kulturlandschaft zusammen, die 1990 in die UNESCO-Liste des Kulturerbes der Menschheit aufgenommen wurde. Die 1995 gegründete Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (SPSG) pflegt diesen Reichtum brandenburgisch-preußischer Geschichte, betreut die Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen und macht sie auf vielfältige Weise der Öffentlichkeit zugänglich. Die SPSG ist ein Zusammenschluss der nach 1945 getrennten Schlösserverwaltungen in Potsdam und West-Berlin und knüpft an die bereits 1927 im Zuge der Vermögensauseinandersetzung mit dem Haus Hohenzollern gegründete preußische Schlösserverwaltung an. Derzeit verwaltet die SPSG über 150 historische Bauwerke sowie rund 800 Hektar Gartenanlagen. Über 30 Häuser aus fünf Jahrhunderten mit ihren hochkarätigen Kunstsammlungen sind der Öffentlichkeit regelmäßig zugänglich. Dazu gehören in Potsdam u.a. das Schloss Sanssouci, die Bildergalerie, das Neue Palais und Schloss Charlottenhof im Park Sanssouci sowie das Marmorpalais und Schloss Cecilienhof im Potsdamer Neuen Garten. In Berlin betreut die SPSG Schloss und Garten Charlottenburg, Jagdschloss Glienicke, Schloss Schönhausen und die Pfaueninsel. Hinzu kommen die märkischen Schlösser Rheinsberg, Königs Wusterhausen, Caputh und Paretz sowie das Schlossmuseum Oranienburg.